
Und war der Tag auch nicht Dein Freund, so war er doch immerhin Dein Lehrer
Diese sehr klugen Zeilen gaben den Vorbeiziehenden bei näherer Betrachtung unserer Ladentür zu denken. Auch mir natürlich. Aber wie intensiv, ahnte ich beim Auswählen der Worte noch nicht.
Im allgemeinen Trubel der Vorweihnachtszeit ging es auch in diesem Jahr wieder drunter und drüber. Manchmal meinte ich, ein wenig mehr geht schon noch. Aber die Kauflust meiner Mitbürger fand anscheinend ihre Erfüllung in Stätten wie dem Kaufland oder Edeka. Nichtsdestotrotz gaben wir uns viel Mühe und wussten, wir würden unsere noch zu erledigenden Aufgaben auch schaffen.
Einiges kam dazu, wie die Weihnachtsfeier des Gewerbevereins, nette Gespräche mit Kunden und zu unserer großen Freude auch das Vorstellungsgespäch bezüglich einer Lehrstelle für unseren Sohn.
Mit dieser Freude im Herzen konnte mich auch gar nicht erschüttern, dass ich am Vormittag bei zu temperamentvoller Dehnung in Richtung Regal das Bein meines Bürostuhls abbrach und ich somit aus nächster Nähe, sozusagen Auge in Auge, die verworfenen Resultate meiner letzten Arbeiten im Papierkorb betrachten konnte.
Nun, ich rappelte mich aus dieser Enge wieder hoch, erledigte dringend Notwendiges bevor ich meinem Mann reumütig meinen neuesten Schaden beichtete und dabei zugleich Thomas` Bewerbung mit einem hübschen Bild versah und zur Abfahrt blies. Es wurde etwas knapp mit der Zeit, schließlich wollten wir ja des besten Eindrucks wegen sehr pünktlich sein. So hielt sich meine Freude in Grenzen, als eine Kundin beim Kauf einer Tasche viel Wert auf meine Meinung legte und in üblicher Weise beraten sein wollte. Aber natürlich ließ sich mein Ego trotzdem streicheln. Ich empfahl ihr, wie immer sehr ehrlich, welche Entscheidung die für sie bessere sein könnte und stürmte nun endlich mit Thomas, seiner Bewerbung und einer funkelnagelneuen Tasche, für die ich mich ganz ohne entsprechende Beratung entschieden hatte, zum Auto.
Mit sehr ökonomischer Planung im Kopf, wollte ich eine gewisse Neugier stillen und nachsehen, was es bei Metzen für Wolle gibt. Gespräche zur oben angeführten Weihnachtsfeier hatten mich neugierig gemacht. Und wann bin ich schon mal in Niederlauterstein. Vor allem ohne triftigen Grund! Gesagt, getan, ich stürmte mit Thomas im Gefolge im Stechschritt durch sämtliche Verkaufsräume, mein Sohn verstand es, all meine eventuellen Kaufwünsche schon im Keim zu ersticken. So kamen wir in die „Büroabteilung“ um noch Nützliches in unseren so leeren Korb fallen zu lassen. Mein dringendes Verlangen trachtete nach einem superdicken Edding, mit welchem ich unser Plakat zur Adventöffnung beschreiben wollte. Nun versuchte ich diesen zu prüfen, ob er all meinen Vorstellungen auch entsprechen würde. Schließlich musste er ja auch noch SCHÖN schreiben. Ich zog und drehte mit viel Mühe an der Verschlusskappe, bis es einen heftigen Ruck gab und sich nicht nur diese Kappe löste. Ein Schwall schwarzer Farbe ergoss sich über mich, meine neue Tasche, meinen Einkaufskorb und Teile des Fußbodens. Vor Schreck und, ich gestehe, auch Scham, wusste ich gar nicht, was zuerst zu tun sei. Ich versuchte an Brust und Bauch zu rubbeln, beschmierte mit den nunmehr schwarzen Händen Gesicht und mehr. Thomas stand mit verhaltener Wut daneben und stöhnte über mein ewiges Pech und die Peinlichkeiten, mit mir unterwegs zu sein. Nach einem freundlichen übereinkommenden Gespräch mit der Verkäuferin- sie hatte auch noch Mitgefühl und Verständnis für die von mir verursachte Sauerei verließen wir nun mit noch größerer Eile diese Einkaufsstätte. Unser dringliches Ziel war es nun, das Büro von Thomas hoffentlich zukünftigem Chef aufzusuchen.
Ja Suchen, das war durchaus treffend. Es war inzwischen stockdunkel und die Straßenverteilung in NLS schien mir so was von unübersichtlich. Gab es doch nur Schlossberge und Gänsegassen, wohin ich auch sah. Mit großer Hoffnung und Hilfe einer Handynavigation bogen wir in eine der Gänsegassen ab, fuhren bis zum Ende einer Sackgasse und vermuteten schon, dass wir nicht richtig sind. Eine Frage an die Auto ausladenden Bewohner des letzten Hauses bestätigte unsere Vermutung. Sie erklärten uns sehr nett, welchem Pfad wir nunmehr folgen müssten. Gesagt getan- mit noch mehr Eile und Aufregung und scheinbar auch noch mehr Dunkelheit musste ich rückwärts wenden. Das stellte für mich nicht wirklich ein Problem dar. An diesem Tag sollte es allerdings anders kommen. Ich konzentrierte mich auf die enorme Hecke, verstärkt durch einen Zaun auf der Beifahrerseite und fuhr und fuhr, wie ich meinte auch sehr vorsichtig zurück. Plötzlich gab es direkt neben mir einen ganz lauten Knall und wir und der gesamte Innenraum waren übersät mit Glassplittern. Meine Scheibe war zerbrochen. Es gab neue Bemerkungen zu meinem Unglück seitens meines Sohnes- die Uhr tat ihr Übriges. Ich stellte fest, dass ein vorher nicht dagewesener provisorischer Zaun meine Fahrbemühungen in eine von mir durchaus nicht beabsichtigte Richtung lenken wollten. Das Brett war stärker – oder gibt doch der Klügere nach? Geleitet von den helfenden Worten des Publikums erreichten wir nun endlich unser Ziel. Thomas meinte jedoch, es wäre doch zu peinlich, in diesem Aufzug mit mir zum Vorstellungsgespräch zu erscheinen. Ich hatte keinesfalls die Absicht, meinen Kleinen diesen bedeutenden Schritt allein gehen zu lassen. So knöpfte ich meine Jacke über dem Pullover mit schwarzem Farbverlauf fein ordentlich zu, ließ meine neu gebatikte Tasche im offenen Wagen, versteckte meine Hände und setzte mich so, dass man meinen schwarzen Mund nicht sehen konnte. Als wäre es die tröstende Belohnung für unsere Aufregungen, ging dort alles einen sehr hoffnungsvollen Gang. Thomas hat eine Lehrstelle, die er sich auch innig gewünscht hat und wir kamen mit unserem jetzt winterungeeigneten Auto gut zu Hause an. Mir war sehr nach Tränen, aber ich konnte vor lauter Erschöpfung nicht mal mehr weinen. Bloß gut, ich hatte ja immer noch ganz schwarze Hände und nur noch geschwärzte Taschentücher. Nun weiß ich sehr genau, wie wir verstehen sollen: War der Tag auch nicht Dein Freund, so war er zumindest Dein Lehrer.